Wie können Sünder zu einer rechten Beziehung mit dem heiligen Gott des Universums kommen?
In der Rechtfertigung gibt Gott die Antwort auf die grundlegendste theologische und religiöse Frage der Menschheit: Wie können Sünder zu einer rechten Beziehung mit dem heiligen Gott des Universums kommen? Gott ist vollkommen gerecht (Mt 5,48). Er ist Licht, sagt der Apostel Johannes, und in ihm ist gar keine Finsternis (1Joh 1,5). Das heißt, er ist ganz und gar heilig, ohne jeden moralischen Makel oder Fehler.
Die ganze Menschheit hat andererseits gegen Gott gesündigt und erreicht deshalb nicht diesen heiligen Maßstab (Röm 3,23). Durch unsere Sünde sind wir Menschen zu eben der Finsternis geworden, die keine Gemeinschaft mit dem Gott des Lichts hat. Alle haben sein Gesetz gebrochen und deshalb die Strafe für ihre Vergehen auf sich gezogen: Tod und Verdammnis (Röm 5,16; 6,23). Wenn es für Sünder überhaupt eine gute Nachricht geben soll, dann müssen die Folgen ihres Gesetzesbruchs und ihrer Entfremdung von Gott überwunden werden. Aber wie ist das möglich?
Geforderte Gerechtigkeit
In jedem Zeitalter der menschlichen Geschichte hat die Religion darauf geantwortet, dass wir in den Himmel kommen können, wenn wir gute Menschen sind. Die verschiedenen religiösen Systeme der Welt haben sich Listen von Riten und Zeremonien ausgedacht, die vollzogen werden müssen, um ein gewisses Maß an Gerechtigkeit zu erreichen, das vielleicht im Gerichtssaal Gottes von Nutzen sein könnte. Doch die Antwort, die Jesus selbst auf diese Frage gibt, war für seine Zuhörer geradezu schockierend:
Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht bei weitem übersteigt, werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen. (Mt 5,20)
Zur Zeit Jesu waren die Schriftgelehrten und Pharisäer in Israel der Inbegriff zeremonieller Gerechtigkeit. Sie waren die religiöse Elite; jeder in der jüdischen Gesellschaft dachte, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer die von Gott geforderte Gerechtigkeit erreicht hatten. Und doch sagt Jesus, dass es, um in den Himmel einzugehen, einer Gerechtigkeit bedarf, die selbst die der religiösesten Leute übertrifft. Nur wenige Verse später geht er sogar noch weiter und sagt:
Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. (Mt 5,48)
Wenn ein Mensch mit Gott versöhnt werden soll, muss er nicht bloß gut sein – nein, er muss vollkommen sein. Er benötigt eine vollkommene Gerechtigkeit, denn Gott selbst ist vollkommen und verlangt Vollkommenheit. Bereits zu Beginn müssen wir daher verstehen, dass die Errettung eine Frage der Gerechtigkeit ist. Die Menschen sind zu ewigem geistlichen Tod verdammt, weil sie nicht die Gerechtigkeit haben, die ein vollkommen heiliger Gott besitzt und für die Gemeinschaft mit ihm fordert.
Geschenkte Gerechtigkeit
Und die einzige Art und Weise, auf die Sünder je mit Gott versöhnt werden können, ist die, dass ihnen die Gerechtigkeit geschenkt wird, die Gott selbst zu eigen ist. Aus diesem Grund nimmt die Kernaussage des Römerbriefs, der gründlichsten Behandlung der Rechtfertigung in der ganzen Schrift, dieses Thema der Gerechtigkeit auf.
Das Evangelium ist »Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden« gerade weil »Gottes Gerechtigkeit […] darin offenbart [wird] aus Glauben zu Glauben« (Röm 1,16–17). Das Evangelium errettet, weil Gott gerade seine eigene Gerechtigkeit dem Menschen schenkt. Auch das übrige Neue Testament bezeugt diese Wahrheit. Paulus fasst das Wesen des Evangeliums zusammen, indem er es als »Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus gegen alle [und auf alle], die glauben« (Röm 3,22; vgl. 3,20–26) beschreibt. Israel scheiterte bei dem Versuch, Errettung zu erlangen, »da sie die Gerechtigkeit Gottes nicht erkannten und ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten suchten« (Röm 10,3). Christus selbst wird beschrieben als »das Ende des Gesetzes, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit« (Röm 10,4).
Die ausdrückliche Absicht, weshalb der Vater den Sohn am Kreuz zur Sünde machte, war, »damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in [Christus]« (2Kor 5,21). Jesus musste in der Tat genau deswegen sterben, weil das Gesetz nur verdammen konnte; es konnte niemals die Gerechtigkeit vermitteln, die Errettung und Leben bringt (Gal 2,21; 3,21–24). Wenn er von seiner eigenen Bekehrung spricht, definiert Paulus das Wesen des Christentums selbst mit Begriffen der Gerechtigkeit: Er beschreibt sich als wahrhaftigen Gläubigen, der »nicht [s]eine Gerechtigkeit ha[t], die aus dem Gesetz ist, sondern die, die durch den Glauben an Christus ist – die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben« (Phil 3,9).
Der Kern der Gerechtigkeit
Daher ist es offensichtlich, dass die Lehre von der Rechtfertigung direkt aus dem Herzen des Evangeliums und der Seele des Christentums selbst hervorgeht. Sie ist, wie Martin Luther sagte, der Artikel mit dem die Kirche steht oder fällt, denn er betrifft die einzige Art und Weise, auf die der sündige Mensch in Gottes Augen für gerecht erklärt werden kann. Die Reaktion des Menschen ist stets, sein Leben nach einem moralischen oder ritualistischen Maßstab auszurichten; wenn ihm das gelingt, kann er etwas zu seiner Errettung beitragen und so eine für seinen Gott annehmbare Gerechtigkeit erreichen. Die Bibel aber verneint konsequent, dass jemand durch Werke gerechtfertigt werden könnte. Die Errettung ist vielmehr Gottes Gerechtigkeit, die dem Gläubigen nur durch Gnade, nur mittels des Glaubens und nur in Christus zugerechnet wird:
Jetzt aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit offenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten: Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus gegen alle [und auf alle], die glauben. Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist; den Gott dargestellt hat als ein Sühnmittel durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist. Wo ist nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen worden. Durch was für ein Gesetz? Der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Denn wir urteilen, dass ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. (Röm 3,21–28)
Aber wissend, dass der Mensch nicht aus Gesetzeswerken gerechtfertigt wird, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus, auch wir haben an Christus Jesus geglaubt, damit wir aus Glauben an Christus gerechtfertigt würden und nicht aus Gesetzeswerken, weil aus Gesetzeswerken kein Fleisch gerechtfertigt werden wird. (Gal 2,16)
Denn wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das lebendig zu machen vermöchte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz. Aber die Schrift hat alles unter die Sünde eingeschlossen, damit die Verheißung aus Glauben an Jesus Christus denen gegeben würde, die glauben. Bevor aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt, eingeschlossen auf den Glauben hin, der offenbart werden sollte. Also ist das Gesetz unser Erzieher gewesen auf Christus hin, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden. Da aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Erzieher; denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. (Gal 3,21–26)
Die Unterscheidung könnte nicht deutlicher sein. In diesen Bibelstellen stellt der Apostel das biblische Christentum dem Judentum gegenüber, doch was er über das Judentum sagt, kann auch auf jedes andere religiöse System in der Welt angewandt werden. Es hat stets nur zwei Religionen gegeben: Die Religion menschlicher Leistung, bei der der Mensch wirkt, um zu seiner eigenen Gerechtigkeit beizutragen, und die Religion göttlichen Wirkens, wobei Gott durch das heilige Leben und den stellvertretenden Tod seines Sohns Gerechtigkeit bewirkt, und diese Gerechtigkeit dann als Gabe durch den Glauben allein umsonst gibt. Die Religion menschlicher Leistung umfasst jedes andere religiöse System in der Geschichte der Menschheit – vom Streben nach dem Nirwana im Buddhismus über die fünf Säulen des Islam bis zu den Sakramenten und Bußübungen im römischen Katholizismus. Das biblische Christentum ist die einzige Religion göttlichen Wirkens.
Die Gerechtigkeit Christi
Weil die Christen aus Glauben allein gerechtfertigt werden, hat ihre Stellung vor Gott in keiner Weise etwas mit persönlichem Verdienst zu tun. Gute Werke und praktische Heiligkeit sind nicht die Grundlage für das Angenommensein bei Gott. Gott nimmt die als gerecht an, die glauben, nicht aufgrund von etwas Gutem, das er in ihnen sähe – nicht einmal aufgrund seines eigenen Heiligungswerks in ihrem Leben – sondern allein aufgrund der Gerechtigkeit Christi, die ihnen durch Gnade mittels des Glaubens allein zugerechnet wird. Wie Paulus sagt:
Dem aber, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. (Röm 4,5)
Darum können wir die Rechtfertigung definieren als jenen unmittelbaren Akt Gottes, in dem er, als Gabe seiner Gnade, einem glaubenden Sünder die vollständige und vollkommene Gerechtigkeit Christi durch Glauben allein zurechnet; er erklärt ihn rechtlich als vollkommen gerecht in seinen Augen, vergibt dem Sünder alle Ungerechtigkeit und befreit ihn so von jeglicher Verdammnis.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus „Biblische Lehre – Eine systematische Zusammenfassung biblischer Wahrheit“. (Kapitel VII – 4.6: Die Rechtfertigung)