Das Motiv des Ältesten ist der Herr
Viele Gemeindeälteste scheitern daran, Leiter zu sein, weil sie das Ziel haben, Leiter zu werden. Wir müssen verstehen, dass Leitung nicht das ultimative Ziel oder der Maßstab für Erfolg ist, wenn es um den Dienst am Evangelium geht. Das mag seltsam klingen – doch bei vielen Ältesten fördert die Fülle an Büchern, Konferenzen, Seminaren und Kursen zum Thema »Leiterschaft« eine fehlgeleitete Leidenschaft. Die Welt hat Leiterschaft als eine Qualität und Fähigkeit von höchstem Rang angepriesen, die unserer größten Anstrengung wert sein soll. Evangeliumszentrierte Leiterschaft hingegen ist ganz anders. Die Bibel macht sehr deutlich, dass der Weg, ein guter Leiter zu werden, nicht darin besteht, Fähigkeiten zu entwickeln, um Menschen zu beeinflussen und Organisationen zu leiten. Vielmehr besteht der Weg, ein guter Leiter zu werden, darin, ein guter Diener zu sein (Mt 20,25–28; Mk 9,35)
Jesus zu dienen macht einen guten Leiter
Diese ungewöhnliche Form der Leiterschaft beginnt mit dem Dienst am Anderen. Mit dem Dienst am Herrn Jesus Christus, der diese Form der Leiterschaft eingeführt hat. Der Apostel Paulus erwartet, dass sein Schüler Timotheus einen solchen Dienst anstrebt: »Wenn du dies den Brüdern vorstellst, so wirst du ein guter Diener Christi Jesu sein, …« (1Tim 4,6). Hier wird das Dienersein nicht mit dem Begriff beschrieben, der die Unterwerfung und Unterordnung wie bei einem Sklaven betont (doulos). Es ist ein Begriff, der allgemeiner für jemanden verwendet wird, der einem anderen in irgendeiner nützlichen Weise dient (diakonos; siehe 1Kor 4,1–2; 2Kor 3,6; 6,4).
Paulus geht davon aus, dass Timotheus eine solche Rolle in seiner Beziehung zu Jesus anstrebt. Daher muss es das Ziel eines jeden Ältesten sein, nicht in erster Linie ein Führer von Menschen zu sein, sondern ein nützlicher Diener des Meisters. Jesus gut zu dienen, wird zur Folge haben, dass wir gute Leiter sind.
Die Qualifikationen eines guten Leiters
Aber wie kann ein Ältester unserem Herrn einen solchen nützlichen Dienst erweisen? Obwohl es zahlreiche Möglichkeiten gibt, wie sich diese Arbeit im Dienst des Evangeliums auswirkt, legt Paulus spezifische Qualifikationen fest, um ein »guter Diener« des Herrn zu sein. Und genau in diesem Abschnitt beginnen sich pastorale Führung und biblische Auslegung zu überschneiden. Zunächst sagt der Apostel, dass eine solche Dienerschaft verwirklicht wird, »wenn du dies den Brüdern vor Augen stellst« (1Tim 4,6). Paulus verwendet achtmal den Begriff »dies« in seinem Brief. Damit fasst er die angesprochenen, praktischen und lehrmäßigen Themen zusammen. Beispielsweise Gebet, Bescheidenheit, Autorität und Unterordnung, Qualifikationen von Ältesten und Diakonen und zerstörerische Gesetzlichkeit.
Ein Leiter ist ein Lehrender
Wie Timotheus muss jeder Älteste seine Gemeinde darin anleiten, richtig zu glauben und gehorsam zu leben, in allen gerade genannten Angelegenheiten und mehr. Das beginnt, indem wir diese Dinge durch Predigen und Lehren der Versammlung »vor Augen stellen«. Die Sprache, die Paulus hier benutzt, vermittelt eine Idee der sanften Überzeugung durch demütige Ermahnung. Der Älteste erklärt und wendet Gottes Wort auf eine liebende Art und Weise an, sodass die Gemeinde richtig zu denken und entsprechend zu leben lernt. Wir servieren nahrhafte Mahlzeiten, wie ein Kellner – wir präsentieren ihnen kostbare Edelsteine, wie ein Juwelier. Wir sind gute Diener unseres Herrn, wenn wir gut leiten, indem wir gut predigen.
Ein Leiter ist ein Lernender
Ein Ältester ist nicht nur ein guter Diener, weil er gut predigt, sondern er predigt gut, weil er gut lernt. Paulus sagt, dass sich Timotheus’ Dienst für Christus und seine Leiterschaft von Gottes Gemeinde deswegen mit seinem Predigtdienst überschneiden, weil er »sich nährt mit den Worten des Glaubens und der guten Lehre, der [er] nachgefolgt [ist]« (1Tim 4,6). Der Ausdruck »sich nähren« ist ein Bild für das Ernähren und Aufziehen von Kindern. Paulus’ Gebrauch des Präsens Partizip lässt vermuten, dass es sein Anliegen ist, dass Timotheus sich weiterhin geistlich ernährt. Dass er seine Versammlung im Glauben unterrichtet, macht ihn zu einem guten Diener des Herrn Jesus Christus.
Wir hören oft von Ältesten, die das Studieren von Gottes Wort vernachlässigen, weil viele andere pastoralen Verantwortlichkeiten ihre Leiterschaft erfordern. Das Studieren von Gottes Wort trägt nicht nur zur geistlichen Ernährung und Vorbereitung auf das Predigen bei, sondern direkt zur geistlichen Leiterschaft. Wir leiten gut, wenn wir gut predigen, wir predigen gut, wenn wir gut studieren und lernen. Wenn ein Ältester regelmäßig seinen Herrn sucht, indem er über die Wahrheit seines Wortes nachsinnt und wenn er Gottes Evangelium studiert und seine reiche Lehre begierig aufnimmt, dann weiß er seine Gemeinde anzuleiten. Dann weiß er »wie man wandeln soll im Haus Gottes, welches die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit« (1Tim 3,15). Dann, und nur dann, kann er als ein »guter Diener« seines Herrn angesehen werden.
Das Ziel des Ältesten ist Gottesfurcht
Leiterschaft ist kein Selbstzweck, sondern impliziert vielmehr ein Ziel. Es ist so ähnlich wie die Anwendung und Veranschaulichung in einer Predigt – solche Elemente dienen als Mittel zum Zweck. Wir bringen nicht lediglich Anwendungen in unseren Predigten; wir wenden etwas Konkretes an. Wir nutzen die Anwendung, um zu zeigen, wie die Zuhörer die Wahrheit leben sollen. Wir verwenden Illustrationen in unseren Predigten nicht nur als rhetorische Unterhaltung; wir verwenden sie, um etwas zu veranschaulichen. Wir verwenden sie als Unterstützung, um die Wahrheit des Textes entweder zu erklären oder anzuwenden. Weder die Anwendung noch die Veranschaulichung stehen in der Predigt allein. Wir benutzen sie, um größere Ziele zu erreichen.
Geistliche Leiterschaft wird leider oft in einer ähnlichen Weise missverstanden. Sie ist keine eigenständige Qualität oder Eigenschaft im Leben und Dienst eines Ältesten; sie existiert nicht in einem Vakuum. Vielmehr geht es immer um ein Ziel – wir leiten nicht einfach nur, sondern wir leiten mit einem Ziel. Für Paulus ist dieses Ziel die Gottesfurcht. Zu Timotheus sagt er »übe dich in der Gottesfurcht« (1Tim 4,7), welche im Gegensatz zur leiblichen Übung »die Verheißung für dieses und für das zukünftige Leben hat« (1Tim 4,8). Er versichert dem jungen Ältesten, dass ein solches Streben harte Arbeit und sogar Leiden wert ist, »weil wir unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt haben« (1Tim 4,10).
Gottesfurcht ist die Bestimmung des Leiters
Im Großen und Ganzen ist Gottesfurcht gleichbedeutend mit der Wiederherstellung des imago Dei, des Bildes Gottes. Nach diesem Bild wurde der Mensch ursprünglich geschaffen (1Mo 1,26–27). Es ist aber die Gottesebenbildlichkeit, die aufgrund unserer Sünde verdreht, verzerrt und zerstört wurde. Im Werk Christi ist das imago Dei wiederhergestellt! So fordert Paulus Timotheus auf, für sich und seine Gemeinde nach dieser Gottesfurcht zu streben, weil Jesus »der Retter aller Menschen ist, besonders der Gläubigen« (1Tim 4,10). Unsere Gottesfurcht wird nur durch das Evangelium möglich gemacht (Kol 3,10; Eph 4,24).
Die Gottesfurcht beginnt mit der Rechtfertigung
Dieser Weg zur Gottesfurcht beginnt mit der Rechtfertigung. Mit dem, dass Gott uns unsere Sünden vergibt und wir mit Gott ins Reine kommen (Röm 5,1) und sein Leben durch den Tod und die Auferstehung Christi in uns wiederhergestellt wird (Röm 5,8–10). Die Reise geht weiter mit dem lebenslangen Prozess der Heiligung, in welchem wir durch das Wirken des Geistes Christi Gott immer ähnlicher werden (2Kor 3,18; 4,16).
Eines Tages wird dieser Prozess in der Verherrlichung abgeschlossen sein. Dann, wenn wir bei seiner Wiederkunft endlich und vollständig wie Christus aussehen (1Joh 3,1–3). Die Wirksamkeit der Führungsqualitäten eines Ältesten können wir daran messen, ob er sich selbst und seine Gemeinde schrittweise auf dieses Ziel zubewegt. Dabei spielt es keine Rolle, welche Leitungsfähigkeiten er besitzt, wie groß die Gemeinde ist, der er vorsteht, oder wie umfangreich sein Dienst ist. Wenn er sich selbst und seine Leute nicht dazu führt, Jesus ähnlicher zu werden, dann leitet er nicht gut im Hinblick auf den Dienst am Evangelium.
Dieses Streben nach Gottesfurcht für uns selbst und unsere Gemeinde führt in diesen Versen zu einer weiteren Überschneidung. Dieses Mal zwischen geistlicher Leiterschaft und Verkündigung. Wenn Paulus Timotheus warnt »Die ungöttlichen und altweibischen Fabeln aber [abzuweisen], …« (1Tim 4,7) tut er das direkt anschließend an seine Bemerkung, dass er »… auferzogen [ist] durch die Worte des Glaubens und der guten Lehre, …« (1Tim 4,6), der Timotheus gefolgt ist und verantwortlich ist, seiner Versammlung zu lehren. Wie die Christen heute, wurden auch die Gläubigen in der Gemeinde des Timotheus mit Perversionen von Gottes Wahrheit angegriffen. Sie verfälschten die Geschichten des Alten Testaments durch erfundene Legenden. Sie beraubten die Stammbäume ihres wörtlichen Sinnes und legten sie als rein symbolisch aus. All diese Irrtümer wurden mit dämonischer Askese vermischt. Diese äußerte sich durch sexuelle Enthaltsamkeit und krankhafte Einschränkung der Ernährung. Durch ihre Leibfeindlichkeit versprachen sie sich geistigen Fortschritt.
Der gottesfürchtige Leiter kämpft für den Glauben
Deshalb fordert Paulus Timotheus auf, für den Glauben zu kämpfen. Er fordert ihn auf, solchen Irrlehren mit der Verkündigung einer gesunden Lehre entgegenzutreten. Wie Judas hätte es der Apostel wahrscheinlich vorgezogen, seinem Schüler zu schreiben und über die Größe des Heils der Gläubigen zu sprechen. Aber der Ansturm von Irrlehren machte es notwendig. Der junge Älteste musste überzeugt werden »für den Glauben [zu kämpfen], der den Heiligen ein für alle mal überliefert worden ist« (Jd 1,3). Das ist die Aufgabe eines jeden Ältesten. Gottes Wahrheit ist die einzige wirkliche Antwort auf die Lügen des Feindes. Die Praxis, diese nährende Wahrheit zu erklären, steht in starkem Kontrast zu einer Fütterung der Menschen mit den leeren Kalorien von Fabeln, Mythen, Altweiberlegenden und der Weisheit der Welt. Sie haben alle nichts mit Gott zu tun. Daher haben sie auch keine Kraft, die Gottesebenbildlichkeit im Leben eines Menschen zu fördern (Kol 2,22-23).
Gott hat seine Wahrheit als primäres Mittel für das Wachstum der Gläubigen in der Gottesfurcht bestimmt (1Pet 2,2). Jesus betete zu seinem Vater: »Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit« (Joh 17,17). Als Älteste können wir unsere Leute zu vielen Dingen leiten. Gottesfurcht muss an erster Stelle stehen – sowohl für uns selbst als auch für unsere Versammlungen. Bei all unserer Leiterschaft verlangt die Schrift von uns, dass wir die Gemeinde durch die getreue Auslegung von Gottes Wahrheit zu diesem Ziel führen. Das ist das Einzige, was sie in sein Bild verwandeln kann.