Die Corona-Krise und die Gemeinde Jesu
Echte Krisenzeiten bringen es immer mit sich, dass unser eigentliches Fundament und unsere tieferen Beweggründe zu Tage treten. Das gilt auch für die Corona-Krise. Es ist mir bewusst, dass die Gemeinde Jesu in anderen Ländern viel härteren Prüfungen ausgesetzt ist als bei uns. Denken wir nur an die verfolgten Christen in den islamischen Ländern oder in Nordkorea. Auch die an Nahrungsmitteln und materiell notleidenden Christen in Teilen Afrikas, dem Nahen Osten oder einigen Gebieten Südamerikas durchlaufen ungleich schwerere Prüfungen.
Die momentane Situation ist aber auch für uns, im «wohlbehüteten» Europa, eine geistliche Prüfung. Und so werden unsere Gemeinden einem «Corona-Test» unterzogen, in dem es nicht um Ansteckungs- und Todesfallzahlen, sondern um unseren inneren Zustand geht.
Eine Prüfung für die Kirche
Im Zeichen der Corona Krise ist es ja nicht mehr möglich, uns als Gemeinde Jesu zu versammeln. Dankbar dürfen wir in diesem Zusammenhang für alle technischen Hilfsmittel, wie Livestreams, Datenbanken mit Predigten und anderem sein. Aber die erste Prüfungsfrage besteht darin, ob wir die Gemeinschaft der örtlich versammelten Gemeinde vermissen. Oder empfinden wir die Entbindung von unserer «christlichen Sonntagspflicht» möglicherweise sogar als Erleichterung? So nach dem Motto: «Länger schlafen, später aufstehen, keine >lästigen Smalltalks<, pünktliches Mittagessen, ausgiebigere Spaziergänge…».
Vermissen wir wirklich die Gemeinschaft unter Gottes Wort, das gemeinsame Gebet, das Mahl des Herrn und den gegenseitigen Austausch? Oder sind wir vielleicht sogar froh, dass manches nun «kürzer» geht als gewohnt? Ist uns das gemeinsame Gebet in der Gebetsstunde ein echtes Anliegen oder ertappen wir uns bei dem Gedanken, nun abends mehr Zeit zum Relaxen zu haben. Möglicherweise fördert das Coronavirus hier ein ganz anderes Virus zu Tage, welches uns befallen hat und dringend einer geistlichen Behandlung und Neuausrichtung bedarf.
Die erste Prüfungsfrage besteht darin, ob wir die Gemeinschaft der örtlich versammelten Gemeinde vermissen.
Vermissen wir die Gemeinschaft?
Dann kommt die «Gemeinschaftsprüfung». Sie ist schon etwas angeklungen. Vermissen wir die Gemeinschaft der Glaubensgeschwister oder sind wir froh, endlich mehr Ruhe zu haben? Pflegen wir den Austausch untereinander durch das Telefon und andere Kommunikationsmittel oder drehen wir uns in unserer «Corona Trutzburg» nur um uns selbst? Nehmen wir auch die Möglichkeiten wahr, andere Glaubensgeschwister zu stärken und zu unterstützen? Halten wir auch Ausschau danach, wie wir Gutes tun können oder wachsen wir in unseren Sofas und Sesseln fest?
Das Coronavirus kann nicht nur unsere Lunge befallen. Es kann auch offenbaren, wie sehr wir selbst vom Individualismus befallen sind.
Suchen wir nach etwas anderem?
Und dann gibt es noch die Prüfung auf ein «Gourmetchristentum». Es sind nicht nur die zahlreichen Kochsendungen, die das genusssüchtige Wesen unserer Wohlstandsgesellschaft offenbaren. Auch unter bibelgläubigen Christen macht sich ein solches Genussdenken breit. Man nutzt die Corona Krise, um im Internet und an anderen Stellen nach besonderen «geistlichen Delikatessen» Ausschau zu halten. All das zu konsumieren, was dem eigenen Genuss, Geschmack und der individuellen Vorstellung entspricht. Dadurch beginnt man die einfache, geistliche und «gesunde Hausmannskost» der örtlichen Gemeinde geringzuschätzen und wird zum «bibeltreuen Schleckchristen» (ein Widerspruch in sich selbst).
Damit keine Missverständnisse entstehen: Gemeint ist hier nicht eine grundsätzliche, klare, bibelbasierte Verkündigung. Sondern es geht um den Kick nach besonderen Predigten und besonderen Verkündigern. Manchmal ist das noch verbunden mit dem Konsumieren eines noch «professionelleren Rahmenprogramms», als es in der örtlichen Gemeinde vorgefunden wird. Es ist meine stille Sorge, dass einige Gemeindeglieder zwar das Coronavirus unbeschädigt überstehen, jedoch nicht das «Gourmentchristentumvirus». Es wäre traurig, wenn aus diesem Grund nach der Krise manche Stühle in den Gemeinderäumlichkeiten leer blieben. Oder wenn sie nicht mehr so regelmässig besetzt sind wie zuvor.
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Oft wird gesagt, dass es keine perfekte Gemeinde gibt. Es ist aber genauso wahr, dass es kein perfektes Gemeindeglied gibt …
Eine Wiederbelebung für die Gemeinde Jesu
Der «Corona-Test» kann aber auch für unsere Gemeinden und uns persönlich, geistlich sehr befruchtend sein. Wenn wir uns sonntags und auch unter der Woche nach den entfallenen Gemeindezusammenkünften und der damit verbundenen Gemeinschaft sehnen, ist das schon ein sehr gutes Symptom für geistliches Leben und Wachstum.
Diese Ausnahmezeit möchte uns als Gemeinde Jesu dazu dienen, damit wir das, was uns in Westeuropa über Jahrzehnte selbstverständlich war, ganz neu schätzen und lieben lernen. Entgegen allem Individualismus, der uns umspült und geistlich tödlich ist, soll uns dieser Ausnahmezustand neu beleben. Es ist mein Wunsch, dass wir durch diese besondere Zeit, den Herzschlag der ersten Gemeinde wieder laut in uns pochen und pulsieren hören, so wie er in Apostelgeschichte 2,42 beschrieben ist (Apg 2,42):
«Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten».
Dieser Beitrag erschien zuerst im April 2020